Die Neubesetzung eines Organmandats ist stets mit Risiken behaftet. Dieses gilt umso mehr, wenn die Vertrauensbasis zwischen neuen Mandatsträgern und den direkt oder indirekt von der Neubesetzung betroffenen Interessensgruppen erst noch aufgebaut werden muss. Dieser Artikel beschäftigt sich daher dem Management des Risikos „Interessensgruppen“.
Interessensgruppen können Gesellschafter, Geschäftsführer und Mitarbeiter sein, oder auch Dienstleister, Zulieferer und Kunden. Jede Interessensgruppe hat eine eigene Geschichte, verfolgt als Ganzes oder in Teilen bewusst oder unbewusst eigene Ziele und trägt in unterschiedlicher Weise zum Unternehmenserfolg bei. Ziele und Erwartungen ganzer Interessengruppen oder einzelner Personen laufen dabei nicht immer synchron zu den Zielen und Interessen des Unternehmens. In einem gut geführten Unternehmen sind die Kräfteverhältnisse jedoch geklärt und Unternehmensprozesse laufen ohne große Störungen ab.
Im Zuge der Neubesetzung eines Organmandats werden die etablierte Kräfteverhältnisse innerhalb der Interessensgruppen und auch zwischen den Interessensgruppen gestört. Es ist damit zu rechnen, dass Einzelpersonen, die sich in eine neue Rolle hineinentwickeln möchten oder sich nicht gesehen fühlen, auf Änderungen etablierter Gruppendynamiken hinwirken, um eigene Ziele zu erreichen und langfristig die Machtverhältnisse zu eigenen Gunsten zu verschieben. Eventuell schwelende Konflikte zwischen Interessengruppen können aufbrechen und teils offen zu Tage treten. Auch ist damit zu rechnen, dass bestehende Informationskanäle gestärkt oder neue Informationskanäle etabliert werden. Die Neubesetzung von Organen bedarf daher eines professionellen Risikomanagements für die Interessensgruppen, um Störungen in den Kräfteverhältnissen zu begrenzen und Akzeptanz für kommende Änderungen zu schaffen.
Aus dem Risikomanagement abgeleitet, werden die Interessengruppen klassifiziert und für eine Jede der Beitrag zum Unternehmenserfolg identifiziert. Im darauffolgenden Schritt muss die Auswirkung von Konflikten innerhalb oder zwischen Interessensgruppen auf den Unternehmenserfolg quantifiziert und ein Bewertungsmaßstab geschaffen werden. Die Darstellung des Ergebnisses in einer „Risikomatrix Stakeholder“ ist eine wertvolle Grundlage zur Gefährdungsbeurteilung und zur Entwicklung von Strategien zum Management der Interessensgruppen.
Interessensgruppen könnten in die Klassen Interne, Überwachungsorgane/Lenkungskreise und Externe untergliedert werden, wobei Interne ein Abhängigkeitsverhältnis vom Unternehmen haben, Überwachungsorgane/Lenkungskreise über Zugang zu Stammdaten, Kennzahlen und Strategiepapieren haben und Externe in einer kommerziell definierten Beziehung zum Unternehmen stehen.
Die Beurteilung des Beitrags zum Unternehmenserfolg könnte entlang der Rolle der Interessensgruppens oder Einzelpersonen entwickelt werden, wobei Kriterien wie Expertise oder Status / Macht eine interessante Hilfestellung zur Einordnung geben.
Letztlich erfolgt die Einschätzung, ob die Interessensgruppen oder einzelne Personen der Veränderung an der Unternehmensspitze eher positiv, neutral oder negativ gegenüberstehen. Eine Visualisierung in einer Power Matrix verdeutlicht die subjektiv wahrgenommen Stimmung respektive Machtverhältnisse im Unternehmen.
Die Power Matrix bildet die Grundlage zum Ableiten von Maßnahmen, um die Kräfteverhältnisse ehest möglich in ein neues Gleichgewicht zu überführen.
Für die methodische Arbeit mit den Interessensgruppen werden im Allgemeinen externe Dienstleister beauftragt. Meiner Erfahrung nach wird jedoch ausschließlich mit internen Interessengruppen gearbeitet. Das ist nachvollziehbar, denn die Personen befinden sich in abhängigen Dienstverhältnissen und können zur Mitarbeit verpflichtet werden. Unbearbeitet bleiben mitunter divergierende Interessen oder Interessenskonflikte auf der Ebene der Überwachungsorgane und Lenkungskreise. Manchmal ist das Vertrauen unter den Akteuren nicht so stark ausgeprägt, wie es von außen scheinen mag.
Es kann vorkommen, dass einzelne Mitglieder der Interessengruppen mit Entscheidungen nicht einverstanden sind oder dem Geschäftsführer misstrauen. Manchmal ist es aber auch die schiere Neugier, die einzelne Personen veranlassen, Kontakt zu Personen im Unternehmen aufzubauen und eine Vertrauensbasis herzustellen. Was auch immer die Motivation sein mag dem Drang nach Informationsbeschaffung durch einen direkten Draht in die Belegschaft ist fatal.
Durch direkte Kommunikation zwischen einem Mitglied aus dem Lenkungskreis und aufgeschlossenen Mitarbeitern werden Prozesse initiiert, die fast immer zu Konflikten in der Organisation und letztlich zu einem Scheitern des Managements führen. Die Auswirkungen sind umso dramatischer, je kritischer die Parteien dem neuen Management gegenüberstehen oder je weniger gut die Mitarbeiter mit dem Änderungsdruck in der Organisation umgehen können. Betroffene Mitarbeiter wähnen sich unter dem Schutz des Mitglieds aus dem Überwachungsorgan und fühlen sich legitimiert, die vermeintlichen Interessen dieser Person um jeden Preis durchzusetzen. Dabei ist nicht immer klar, was die Ursache des Konflikts ist, da sich die Konfliktparteien nicht direkt begegnen. Die Manipulation der stellvertretenden Konfliktpartei im Unternehmen erfolgt subtil und zumeist und aus dem Off erfolgen. Das macht es schwer, den Konflikt zu benennen, einzudämmen oder gar beizulegen. Selbst nach Entfernen der stellvertretenden Konfliktpartei wird sich der eigentliche Konfliktherd einen neuen Stellvertreten in der Organisation suchen und seine Intrigen weiterspinnen.
Ich habe erlebt, dass alle neun Eskalationsstufen (nach dem Konfliktforscher Friedrich Glasl; Quelle https://blog.hubspot.de/service/eskalationsstufen, gesehen am 17 September 2024), durchlaufen wurden.
Das bringt mich zu der Überzeugung, dass es nur wenige Handlungsoptionen in derartigen Situationen gibt. Entweder wird der Konfliktherd im Überwachungsorgan identifiziert und entfernt, oder es wird die Geschäftsführung in der Organisation entfernt. Bei letztere Handlungsoption bleibt die Frage, unter welchen Bedingungen die ursächliche Konfliktpartei zu positiver Mitwirkung bewegt werden kann und eine gesunde Entwicklung des Unternehmens möglich wird.